Mit spitzer Feder …
Wir kennen es alle: Seit einem Jahr werden wir in den Medien – sei es nun via Print, online, im TV oder auf sämtlichen sozialen Kanälen – überschüttet und zugedröhnt mit Meldungen über das Coronavirus und die Pandemie. Dabei schüren die Medien bewusst Empörung – tagtäglich und sie hören nicht auf damit. Sie bauen diese gewaltige Empörungswelle mit perfider Logik auf, spalten dabei die Menschen und schlagen daraus erst noch Kapital – auch in der Schweiz. Selbst renommierte Blätter machen bei dieser Empörungsökonomie mit. Damit wird bewusst ein Keil in unsere Gesellschaft getrieben. Dies hat zur Folge, dass vor allem Personen und Gruppen an den Rändern des politischen Spektrums Empörung weiter anfachen – vorgelebt von sensationssüchtigen Schreiberlingen. Oftmals wird ein Thema okkupiert und seziert, Täter werden gebrandmarkt und schliesslich folgt die Androhung der Apokalypse, wenn nicht sofort etwas getan wird! Im digitalen Zeitalter kann dies jeder Einzelne öffentlich tun. Und nicht mehr nur prominente Persönlichkeiten sind im Fadenkreuz öffentlicher Empörung. Das Anprangern, Diffamieren und Diskreditieren haben im digitalen Zeitalter auch gegen gänzlich Unbekannte mächtig an Fahrt aufgenommen.
Als ehrlicher, loyaler Mensch und verantwortungsvolle Journalistin mit Berufsstolz ist mir Transparenz und Ethik beim Schreiben wichtig. Daher empfinde ich diese Empörungswelle unangenehmer als die epidemiologische Welle. Ich wünsche mir von Journalisten, gerade in diesen aufgeregten und aufregenden Zeiten, Nüchternheit. Es geht dabei gar nicht so sehr um die ewigen und oft elenden Fragen von Objektivität oder Neutralität. Und es geht schon gar nicht darum, skandalöse, empörende Dinge nicht beim Namen zu nennen. Es geht um emotionale Distanz und eine journalistische Haltung, die den Menschen im Publikum nicht sagt, wie sie sich fühlen sollen, sondern ihnen alle Fakten liefert, damit sie sich eine eigene Meinung dazu bilden können. Denn Empörung ist ein süsses Gift. Die meisten Menschen suchen sie, um sich an ihr zu berauschen. Eine Prise Empörung mag ja gut und recht sein, denn sie zeigt uns an, wenn unsere Werte verletzt werden. Aber ist ein Gericht erst einmal versalzen, so ist es schlichtweg nicht mehr essbar. So verhält es sich auch mit der Empörung.
Drehen wir die Zeit zwei, vier Monate zurück und schauen über den grossen Teich: Die beste Art von Journalisten, mit dem «Trump-Theater» umzugehen, ist meiner Meinung nach genau das: kühl recherchierender, unaufgeregt präsentierter Journalismus, sachliche Analysen, ausgeruhte Einordnungen. Ich glaube, dass das letztlich auch wirkungsvoller ist. Es ist in aller Regel viel besser, über einen Aufreger nicht in aufgeregtem Tonfall zu berichten, sondern die aufregenden Fakten nüchtern zu präsentieren, so dass der Leser sich möglichst nicht aufregt. Es ist wahrscheinlich auch die einzige Chance, ein Publikum zu erreichen, das nicht schon vorempört in die Berichterstattung einsteigt. Alle anderen werden von der Empörung eher abgeschreckt und können durch Fakten dann auch nicht mehr erreicht werden. Dabei wäre das wichtig, denn viele der Verschwörungstheorien lassen sich sachlich widerlegen. Das wäre eine gute Aufgabe für Journalisten. Hinter der demonstrativen Emotionalität steckt auch eine tendenzielle Unterschätzung des Publikums. Als könnte es nicht selbst, wenn es die Fakten verständlich präsentiert bekommt, zu den «richtigen» Urteilen und Empfindungen kommen. Und was das Publikum, die Leser betrifft. So müssen sie (lernen), Informationen im digitalen Zeitalter richtig einschätzen zu können. Dazu gehört, verschiedene Quellen zu nutzen, die eigene Bubble zu sprengen und Aufrufe der Empörung als das zu erkennen was sie sind: Geldmacherei. Es liegt nämlich an jedem Einzelnen, die Empörungswelle an den Fakten zu zerschellen lassen – mit vernünftigem Denken, einer Portion Selbstreflektion und dem Bauchgefühl.
Herzlichst,
Ihre Corinne Remund
Verlagsredaktorin